Ein Schulhaus, das die Stadt nicht gebaut hat

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Zur Jahrhundertwende herrschte in beiden Wasserburger Schulhäusern erhebliche Raumnot. Um die 220 Knaben und 230 Mädchen im Schulalter zählte man in der Stadt. Jeweils vier Klassen für sieben Schülerjahrgänge konnten gebildet werden. Wen wundert’s, dass bei solchen Gegebenheiten manche Klassen 70 und mehr Schüler hatten!

Nicht besonders gut sah es auch – besonders in der Hofstatt – mit der Einrichtung und den hygienischen Verhältnissen aus. Als Schulbänke hatte man zum Teil noch Sechssitzer mit starren Sitzen und Schreibflächen, fehlenden Rosten und geringen Abständen, so dass sich die Kinder kaum rühren konnten. Wiederholt musste der „Kgl. Bezirksarzt“ mahnen, bis Schulbänke beschafft wurden, die den damaligen Einrichtungsvorschriften entsprachen. Die neuen Bänke schienen allerdings auch nicht das Gelbe vom Ei gewesen zu sein, stellt doch der Lehrer Max Rampf in einem Schreiben an die „Kgl. Lokalschulinspektion“ im August 1898 leicht erbost, aber immerhin „gehorsam“ fest, dass „die im Vorjahr angefertigten neuen Schulbänke, deren Schöpfer auf sein Machwerk sicher nicht stolz sein kann“, einer dringenden Reparatur bedürften.

Wiederholt fanden „Visitationen“ statt. Die Kommission rügte schlimme hygienische Verhältnisse, steile Stiegen, die schlechte Luft in den Zimmern, eiserne Öfen, in deren Nähe die Kinder mit hochroten Köpfen saßen, während die anderen froren, und vor allem die Knaben-Aborte.

Aus diesen kam neben strengen Gerüchen nicht näher bezeichnete Flüssigkeit, die mit den Füßen durch das ganze Haus getragen wurde, was im Winter sogar „Eisbildung und Rutschgefahr“ befürchten ließ.

An Lehrmitteln fehlte einiges. Dass das Bild „ Seiner Königlichen Hoheit, des Prinzregenten“ nicht alle Räume schmückte, sei nur am Rande erwähnt.

Im Laufe der Zeit wurde mancher Missstand beseitigt; die Raumnot blieb.

Deshalb und weil das „Kgl. Bezirksamt“ auf Hinweise der Regierung drängte, trug man sich kurz nach der Jahrhundertwende mit Neubaugedanken für ein Knabenschulhaus.

„Übereinstimmend wir erkannt, dass die Erstellung moderner Volksschulräume ein Bedürfnis ist“, schrieb der „ rechtskundige Bürgermeister Ertl im Auftrag des Magistrats“ am 24. April 1906 an das Bezirksamt.

Mit der Übereinstimmung dürfte es allerdings nicht weit her gewesen sein; es gab sogar den Verdacht, der Magistrat, in erster Linie aber der Bürgermeister erachte den Schulhausneubau nur „ aus einer Art Großmannssucht“ als dringend von Nöten.

Der böse und ungerechte Vorwurf wurde bald vom Bezirksamt ausgeräumt.

Wer, wie Lehrer Rampf, den die Wohnungsverhältnisse im alten Schulhaus bedrückten, geglaubt hat, nun stehe einem Neubau nichts mehr im Wege, wurde enttäuscht: Zwei Jahre vergingen, dann setzte man eine Schulhauskommission ein und erwog den Ausbau des Schulhauses in der Hofstatt, was zweifellos billiger als ein Neubau gewesen wäre.

Architekt Rieperdinger, den der Magistrat beauftragt hatte, Ausbauvorschläge für beide Schulhäuser zu machen, meinte, dass sich Knaben- und Mädchenschule „vorbehaltlich der Genehmigung der Regierung um die Summe von 36 000 Mark“ so umgestalten ließen, „dass dieselben für hiesige Verhältnisse den Bedürfnissen der nächsten 20 bis 30 Jahren genügen dürften“.

Rieperdinger war ein Meister seines Fachs. Die von ihm vorgelegte perspektivische Ansicht des ausgebauten Knabenschulhauses zeigt ein Gebäude, das heute noch gefallen könnte. Die Tatsache, dass rund ums Haus Straßen führten, das Raumangebot dürftig blieb und kein Pausenplatz zu Verfügung stand, konnte jedoch auch er nicht aus der Welt schaffen.

Man sah deshalb von Ausbau des Schulhauses in der Hofstatt ab. Die Schulhauskommission blieb jedoch nicht untätig. Sie suchten nun mögliche Grundstücke für die Errichtung eines neuen Knabenschulhauses, als der Bau eines Realschulgebäudes in die Diskussion eingebracht wurde.

Zwischen der „Villa Mann“ und dem „Geyer’schen Garten“ sollten es entstehen und der Stadt viel weniger kosten als eine Volksschule, weil für eine Realschule, die bisher im Rathaus unterbracht war, „beträchtliche Zuschußleistungen aus Kreismitteln“ zu erwarten waren.

Das gefiel den Verantwortlichen und nebenbei die Tatsache, dass mit dem Neubau der Realschule im Rathaus Räume für die Knabenschule und den Magistrat frei wurden.

Anfänglich lehnte die Regierung diese Lösung der Probleme ab, stimmte dann aber zu, weil versichert wurde, dass es sich mit den Ausweichräume im Rathaus nur um ein Provisorium handeln würde.

Darüber war man sehr froh im Rat der Stadt, wusste doch alle, dass Wasserburg auch ein Mädchenschulhaus bräuchte.

004Das Haus in der Hofstatt verwendete man ohne Ausbau bis 1937 als Knabenschule weiter, trotz der gefährlich steilen Treppen, der ungenügenden „Ventilation“ der Räume, der zwar etwas verbesserten aber immer noch mangelhaften hygienischen Verhältnisse und der Gerüche, die schon der Lokalschulinspektion samt begleitenden Räten im Jahr 1905 in die Nase gestiegen waren.